Kirchenführer
St. Blasius – Kaufbeurens Schatzkästlein
Von der St.-Blasius-Kirche oben auf dem Hochuferhang im Nordwesten der Altstadt bietet sich einer der schönsten Blicke auf die Altstadt. Der vornehme spätgotische Bau aus dem 15. Jahrhundert prägt aber auch die Ansicht von der Stadt nach Westen, vom Fünfknopfturm im Süden bis zum mächtigen Blasiusturm mit seinem kegelförmigen Dach. Von weitem wirkt dieser wie ein unförmiger Kirchturm; er wurde jedoch um 1420 zur Verstärkung der Stadtmauer errichtet und ist mit der Kirche nur durch einen zweigeschossigen Übergang verbunden. Hinter stichförmigen Öffnungen in der Westwand der Kirche verläuft der Wehrgang der Stadtmauer. Die Verteidiger der Stadt konnten von hier am Gottesdienst teilnehmen, ohne dadurch den Schutz der Stadt zu vernachlässigen.
Es ist nicht bekannt, ob die Welfen im 12. Jh. oder die Staufer im 13. Jh. den Bau der Kirche hier oben veranlassten. Vor 700 Jahren, am 14. April 1319, wurde sie erstmals urkundlich genannt. Am 7. Juli 1485 weihte der Augsburger Weihbischof Ulrich Geislinger den heutigen Bau. Die Kaufbeurer Bürger schätzten diese Kirche ganz besonders und gaben ihr großzügige Stiftungen. Dadurch ermöglichten sie auch die kostbare Ausstattung. Deren Mittel- und Höhepunkt ist der 1518 von dem seit 1507 bis zu seinem Tod um 1550 in Kaufbeuren lebenden Jörg Lederer geschaffenen Flügelaltar, dessen Mittelteil in drei jeweils dreiteilige Stockwerke gegliedert ist.
Das Fundament bildet unten die Predella mit drei Gemälden von dem Kaufbeurer Maler Jörg Mack: In der Mitte die wegen ihrer religiösen Bedeutung etwas größere Darstellung der Herabkunft des Hl. Geistes auf die Gottesmutter und die zwölf Apostel; zu beiden Seiten vier heilige Frauen; links Katharina mit dem Schwert im zerbrochenen Rad und Barbara mit Kelch und Hostie; rechts Margareta, die den Kreuzstab in den Rachen des höllischen Drachen stößt, sowie Dorothea mit einem Blumenkörbchen.
Im Altarschrein stehen drei Heilige, die vom Vorgängeraltar (um 1430) übernommen wurden: In der Mitte St. Blasius, der Kirchenpatron, mit einer gedrehten Kerze und einem Buch, links St. Ulrich mit Bischofsstab und Fisch, rechts St. Erasmus mit Bischofsstab und den unter die Fingernägel getriebenen Pfriemen. Lederer schuf zwei kleine Evangelistenfiguren und zwei Engel über den großen Figuren zu beiden Seiten des Schreins: links ein hervorragender Johannes der Täufer, rechts eine wunderbare Anna Selbdritt in der Tracht einer verheirateten Frau um 1500, ein Werk von immer neu beeindruckender und berührender Ausdruckskraft. Durch die Verwendung von 30 cm langen Scharnieren können beide Figuren auch bei geschlossenen Altarflügeln gesehen werden.
In dem in genialer, filigraner Durchsichtigkeit gestalteten Gesprenge stehen drei Figuren: in der Mitte die Gottesmutter mit Kind, an den Seiten Sebastian als Helfer bei Pestepedemien und Christophorus, Patron der Reisenden und Beschützer vor einem jähen und unvorbereitetem Tod. Auf der Innenseite der Altarflügel sind links Jesu Geburt und die Flucht nach Ägypten dargestellt, rechts die Anbetung der Könige und der Betlehemitische Kindermord.
Bemerkenswert sind im Chor am Astkreuz ein gotischer Kruzifixus mit der Öffnung der Seitenwunde, in die Gläubige Zettel mit Bitten legen konnten, sowie am Choreingang links ein Johannes der Täufer, rechts ein vorzüglich gearbeiteter Sebastian, der Michael Erhart zugeschrieben wird.
Das dreischiffige Langhaus ist berühmt wegen seiner fünf Gemäldezyklen mit zusammen 66 Bildern von einem unbekannten Maler, entstanden zwischen 1480/90. An der Südwand ist die „Aposteltafel“ souverän zwischen die beiden Fenster gefügt. Auf der dreiteiligen Mitteltafel, bekrönt von dreiteiligem Kielbogenmaßwerk, sendet die Gottesmutter die Apostel in die Mission. Die untere Bildzeile zeigt ihr Martyrium, das eine Textzeile im Kaufbeurer Dialekt beschreibt. – An der Westwand sind die Legenden der Heiligen Ulrich, Erasmus und Antonius der Einsiedler mit je zehn Bildern und einer Textzeile dargestellt, bekrönt von einem Porträt, an der Nordwand die Tätigkeit des Kirchenpatrons in 20 Bildern, darunter die Figur des Heiligen mit Kerze und Bischofsstab.
Der überwältigende Raumeindruck lebt von der Spannung zwischen dem hellen, eleganten Chorraum und dem querförmigen Langhaus. Die außerordentlich qualitätvolle Ausstattung durch Kaufbeurer Künstler macht St. Blasius zu einem Schatzkästlein spätmittelalterlicher Kunst von beglückender und berührender Schönheit.
Karl Pörnbacher